Zerbrechlich (2)

Haben Sie bereits Teil 1 gelesen? Dies ist dessen Fortsetzung. Eine Leseprobe meiner Coaching-Kollegin und Autorin Beatrice Roth.

In ihrem Roman „Aufbruch“ schreibt sie über Depression. Sowie über deren Auswirkungen auf die Betroffenen. Man könnte auch sagen: über die „Gefangenen einer Depression„. Über die – von außen oft unverständliche – Sichtweisen und Reaktionen der Betroffenen. Und nicht zuletzt über die Auswirkungen auf deren Partnerschaft und Familie.

Auch beschreibt sie, wie die Protagonistin ihres Romans sich Stück für Stück ins Leben zurück gekämpft hat. Ein langer Weg. Vor allem ein lohnenswerter.


Am nächsten Tag versuchte sie am Nachmittag einen Termin bei einem Psychiater zu bekommen. Sie wählte sich die Finger wund und wurde fast überall auf einen Zeitpunkt im übernächsten Monat verwiesen.

Beim zwölften oder dreizehnten Versuch war sie so verzweifelt, dass sie anfing zu weinen, als die Sprechstundenhilfe ihr sagte, sie könne frühestens in vier Wochen kommen. Sie erzählte, wie schlecht es ihr ging und schilderte diese merkwürdigen Anfälle, die so große Angst bei ihr verursachten.

„Ja gut, ich höre schon, es drängt wirklich! Ich rede mit dem Chef und schaue mal, ob sich da etwas machen lässt.“ sagte die freundliche Frau am Telefon und ließ sich ihre Telefonnummer geben. Sie rief schon nach einer halben Stunde zurück und gab ihr einen Termin für den nächsten Tag um 18:30 Uhr.

„Eigentlich ist der Doktor um diese Zeit nicht mehr hier, aber er hat eine Ausnahme gemacht, da Sie wohl dringend Hilfe benötigen!“ Sie bedankte sich vielmals und sehr erleichtert.

Als sie am nächsten Abend zu diesem Termin fuhr, war sie sehr aufgeregt. Sie hatte sich vorher ein paar Notizen gemacht und versucht zu sortieren, an welchen Stellen ihr Leben eine Wendung genommen hatte, die ihr nicht gefiel und wie sie selbst sich verändert hatte.

Der Arzt war etwas jünger als sie, sehr sympathisch und er ließ sie ausführlich erzählen. Ab und zu stellte er Fragen und er notierte sich einiges. Es wurde immer später und sie bekam schon ein schlechtes Gewissen. Er hatte ein Familienfoto auf seinem Schreibtisch stehen und sie runzelte die Stirn und meinte: „Es ist ja schon so spät. Sie müssen doch sicher nach Hause zu Ihrer Familie!“

„Kümmern Sie sich bitte nicht um meine Familie, kümmern Sie sich jetzt um sich. Ich wäre nicht hier und hätte Zeit für Sie, wenn ich zuhause gebraucht würde!“ meinte er lächelnd.

Sie fuhr dankbar fort zu erzählen. Nach einer Zeit unterbrach sie der Arzt und sagte: „Ich habe noch eine wichtige Frage an Sie: Was glauben Sie; welches ist das von Ihnen meistgesagte Wort in der letzten Stunde gewesen?“ Sie schaute ihn überrascht an und überlegte einen Moment: „Traurig? Druck? Ärgern? Ich weiß es nicht genau, da müsste ich länger nachdenken!“

„Ihr häufigstes Wort ist ‚müssen‘ in allen Variationen. Sie müssen immer irgendwas. Ich habe von Ihnen nicht einmal ‚ich will, ich möchte, ich würde gerne‘ gehört. Selbst bei Ihrem Wunsch wieder zufrieden zu werden, sagen Sie ‚Ich muss wieder glücklich werden‘. Sie müssen überhaupt nichts, außer atmen, essen, schlafen und auf die Toilette gehen. Alles andere ist ihre freie Entscheidung und Entscheidungen kann man revidieren, ändern, neu überdenken! Sie setzen sich enorm unter Druck, und das schon seit vielen Jahren, das kann weder Ihr Körper noch Ihre Seele aushalten. Sie stecken in einer schweren depressiven Episode und sie brauchen eine Therapie und zwar sehr schnell. Zusätzlich brauchen Sie eine medikamentöse Behandlung!“

„Nein, das will ich nicht, keine Tabletten, ich will nicht von irgendetwas abhängig werden oder womöglich nicht ich sein, zugedröhnt und abwesend!“ Das war eine furchtbare Vorstellung für sie. Da war erneut die Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren. Die hatte sie ja schon durch die Panikattacken oft genug.

Aber der Arzt erklärte ihr, was die körperlichen Auswirkungen einer Depression waren und dass sie ohne ein Medikament nicht mehr aus ihrem „schwarzem Loch“ herauskommen würde. Die Tabletten würden sie auch keineswegs abhängig machen oder sie daran hindern, ein normales Leben zu führen.

„Ich schreibe Sie zwei Wochen krank, denn an die Tabletten sollten Sie sich schon gewöhnen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie am Anfang Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit und Benommenheit haben werden und eventuell wird auch noch einmal ein Wechsel des Medikaments nötig sein. Die Nebenwirkungen legen sich aber meist nach 8-10 Tagen. Außerdem werde ich einen Klinikplatz für Sie beantragen …“

Sie fiel ihm erschrocken ins Wort: „WAS? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Ich kann nicht weg, ich muss mich um die Familie kümmern!“

„Wie alt sind Ihre Familienmitglieder? 46, 17 und fast 14. Glauben Sie nicht, dass zwei Jugendliche und ein erwachsener Mann sechs Wochen ohne Sie auskommen werden?“

„Sechs Wochen? So lang? Oh Gott … wie soll das denn gehen?“

Sie war entsetzt, das wurde ja immer schlimmer. Nervös knetete sie ihre Hände, die unruhig in ihrem Schoß lagen.

„Ich möchte, dass Sie mir genau zuhören: Sie rutschen ab, Sie werden das nicht schaffen, wenn Sie nicht aus Ihrer momentanen Situation heraus kommen. Allein die Einsicht, was sich ändern sollte, wird Ihnen nicht helfen. Ich möchte Sie aus Ihrer gesamten Verantwortung herausholen und Ihnen die Chance geben, sich nur um sich zu kümmern. Aber letztendlich ist das Ihre Entscheidung, zwingen werde ich Sie nicht können.“

Sie rutschte in sich zusammen, wurde auf ihrem Stuhl immer kleiner und fing an zu weinen. Während sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch kramte, haderte sie mit sich selbst:

Warum war sie bloß her gekommen? So schlecht ging es ihr doch gar nicht. Das Wochenende war doch sehr schön gewesen und sie würde das schon schaffen. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass sie ohne Pillen und Klinik nicht mehr auf ihrem Tief herauskommen könnte. Aber der Arzt ließ nicht mit sich reden.

„Sie werden sich helfen lassen, sonst wird es Ihnen immer schlechter gehen! Sie sind eine kluge Frau, ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wohin es führt, wenn Sie jetzt nichts unternehmen.“

Sie zerknüllte ein Papiertaschentuch in ihren Händen und zerlegte es in seine Einzelteile. Eigentlich war ihr schon klar, dass er Recht hatte, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, sechs Wochen in einer Klinik zu sein. Wie sollte das gehen? Er war doch beruflich so eingespannt und Bella war noch ein Kind. Die Gedanken fuhren im Kreis. Wie sollte sie das bloß organisieren? Ihr wurde ganz schwindelig von dem, was da auf sie zukam. So hatte sie sich das wirklich nicht vorgestellt. Sie hatte gehofft, dass der Arzt ihr zwei, drei Tricks verraten würde und dann würde alles weiterlaufen wie bisher. Dass es ihr so schlecht ging, dass ein Klinikaufenthalt und medikamentöse Behandlung nötig waren, damit hatte sie niemals gerechnet. Der Berg von Problemen, der vor ihr stand, erdrückte sie…


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